Am letzten Wochenende war ich zu Besuch beim 4. Endodontie-Symposium Sachsen. Hier wurde ein Desinfektionsprotokoll für die Revisionsbehandlung vorgestellt, natürlich nicht ohne- wie bei vielen Endodontologen üblich- vorher Chlorphenolkampfermenthol (CHKM) abzulehnen.

Noch vor der Vorstellung des eigenen Konzeptes wurde die hohe Diffusionsfähigkeit von CHKM als vermeintlich negative Eigenschaft angeprangert. Nach Meinung des Referententeams könnte es daher zu einer Schädigung von Demodontalzellen kommen.

Dabei ist die Diffusionsfähigkeit doch ein großer Vorteil gegenüber anderen Medikamenten. Nur so kann eine vollständige Desinfektion gewährleistet werden, schließlich wird man niemals das komplette Kanalsystem vollständig aufbereiten können. Und natürlich gibt es Studien die eine zytoxische Wirkung von Chlorphenolkampfer (CHK) im Laborversuch zeigen (Chang et al. 1998, Chang et al. 1999). Die Frage ist nur wie stark solche Nebenwirkungen ausfallen bzw. wie hoch die klinische Relevanz ist. Die Dosierung und Mischungsverhältnisse der einzelnen Bestandteile sind hierbei ausschlaggebend. Denn die Dosis macht ja bekanntlich das Gift. In keiner dieser Studien wurde die Originallösung nach Prof. Dr. Walkhoff verwendet. In der CHKM Originallösung nach Prof. Dr. Walkhoff sind die einzelnen Bestandteile so konzentriert und physikalisch gemischt, dass eine Gleichgewichtsreaktion entsteht. Abhängig von wässrigem Sekret wird hierbei Parachlorphenol und Kampfer freigesetzt. Hierdurch kann eine Depotwirkung erzielt werden und Nebenwirkungen in der klinischen Anwendung werden verhindert. Daher ist CHKM auch zur Injektion in apikale Granulome freigegeben. Und trotz häufiger Anwendung sind keine schwerwiegenden Zwischenfälle und Nebenwirkungen beschrieben. Es ist ebenso betonenswert, dass CHKM keine genotoxischen oder kanzerogene Effekte hat (Chang et al. 1998, Da Silva et al. 2007, Ribeiro et al. 2004).

 

Danach stellten die Referenten ihr Spülprotokoll vor. Als wichtigste Substanz wurde Natriumhypochlorit (NaOCL) vorgestellt. Und auf einmal konnte es gar nicht toxisch genug sein. Stolz wurde ein Versuch demonstriert, bei dem innerhalb von einigen Stunden eine Wiener Wurst vollständig durch NaOCl aufgelöst wurde. Die gewebeauflösende Ätzwirkung von NaOCl wurde hervorgehoben. Da es allerdings schlecht in die Seitenkanäle diffundiert, wurde eine Ultraschallaktivierung empfohlen. Wie verhindert man da eigentlich ein Überpressen über den Apex in das umliegende Gewebe? Durch die starke Ätzwirkung von NaOCl ist dieses schließlich unbedingt zu vermeiden. Klinisch, insbesondere bei weitem Foramen apikale, sicherlich kaum zu kontrollieren. Und so konnte man beim nachfolgenden Vortrag über Ultraschallsysteme im Versuchsmodell deutlich sehen wie NaOCl im durchsichtigen Modellzahn zwar erfolgreich aktiviert aber eben auch über den Apex gebracht wurde. Dass dabei Nebenwirkungen und iatrogen Zwischenfälle auftreten können kann man sich leicht vorstellen.

Trotzdem verbleiben oftmals Bakterien in den Wurzelkanälen (Hope et al. 2010, Nair et al. 2005, Vivacgue-Gomes et al. 2005). Im vorgestellten Protokoll wurde daher empfohlen abschließend mit Chlorhexidin (CHX) zu spülen. Mit NaOCl reagiert CHX zu Parachloranilin, einer Substanz die im Verdacht steht kanzerogen zu sein. Das Referententeam empfahl daher eine Zwischenspülung mit Ethanol. Aber kann man, insbesondere nach Ultraschallaktivierung, sicher sein, dass keine Reste von NaOCl in Seitenkanälen verbleiben? Wer will schon eine vermeintlich krebserregende Substanz in seinem Zahn haben? Die Kollegen empfahlen etwas scherzhaft den Patienten besser nicht über diese Zusammenhänge zu informieren. Und wie sollte es anders sein, im Laborversuch sind NaOCl und CHX natürlich ebenfalls zytotoxisch auf Desmodontalzellen (Chang et al. 2001)

 

Warum wird hier von spezialisierten Kollegen mit zweierlei Maß gemessen? Warum wird eine Substanz mit guter Desinfektionswirkung und Diffusionsfähigkeit ohne klinisch nachweisbare Nebenwirkungen abgelehnt, während ein kompliziertes Spülprotokoll mit Nebenwirkungspotential und Interaktionen zwischen den verschieden Substanzen zum „Goldstandard“ ausgerufen wird. Vielleicht gerade deshalb: Damit es kompliziert bleibt! Denn wer würde eine kostenintensive Privatbehandlung in Anspruch nehmen, wenn sich einfache und preiswerte Konzepte durchgesetzt hätten.

 

Im folgenden Fall habe ich jedenfalls reichlich CHKM über den Apex gebracht. Den Desmodontalzellen hat es jedenfalls nicht geschadet und die Zähne sind nach Abheilung der Infektion vollkommen beschwerdefrei.